21 Grad zeigt das Thermometer in der Lobby des Olissippo Oriente Hotels in Lissabon. Gestern sind mein Bruder und ich hier am Abend angereist. In Deutschland lässt der Winter in diesen Tagen nochmal ein Gastspiel zu, wir flüchten in den Frühsommer. In der Hauptstadt Portugals zwitschern die Vögel, eine lauwarme Brise verweht uns die Haare und der Pullover wird schon bald in der Tasche verstaut. Uns erwartet ein 7 tägiges Abenteuer ganz im Westen der iberischen Halbinsel. Und damit meine ich tatsächlich so westlich, wie es nur geht. Wir werden am 6., also am letzten Tag unserer Radreise gemeinsam mit Eurobike am berühmten Leuchtturm (Name) vorbeiradeln. Davor gibts dann die selbsternannte, fast schon kultige Imbissbude „Die letzte Bratwurst vor Amerika“. Wir bleiben, dank flexiblen Anreisedaten 3 Tage in Lissabon, bevor wir uns die Räder leihen, eine Einweisung bekommen und mit Vollpower die Westküste Portugals entlangfahren.
Vom Stadttrubel zum Weidezaun
Ein bisschen ungewohnt ist es noch, denn auch für portugiesische Verhältnisse ist eine Wettervorhersage von 28 Grad Anfang April nicht unbedingt alltäglich. Wir nehmen das aber so gerne mit. Das Gepäck findet pünktlich um 9 Uhr seinen Platz an der Rezeption des Hotels und wir legen die erste Strecke bis zum Fährhafen zurück. Wenn wir weiter wollen, müssen wir auf die andere Seite des Tejo. Bei der Überfahrt lohnt sich ein Blick zurück auf Hafen und Altstadt Lissabons. Die weißen Häuser leuchten in der Vormittagssonne und machen einen Abschied gar nicht so einfach. Und dann steht die erste von sechs Etappen an. Vom anderen Ufer Lissabons führt uns der Weg bis ins 65km entfernte Setubal. Entlang wild verlaufender Landstraßen, duftenden Wiesen und wankender Mohnblüten ist auch das Meer stets in Reichweite und kleine Abstecher in Richtung traumhafter Badebuchten oder den beeindruckenden Klippen sind empfehlenswert.
Und dann folgt der erste heftige Anstieg, das Ziel in greifbarer Nähe treten wir in die Pedale und erreichen den Miradouro Portinho da Arrabida. Von hier eröffnet sich einer der für mich schönsten Ausblicke der gesamten Reise. Zur linken schon die weißen Strände Setubals erkennbar, zur rechten die dicht bewachsende Berglandschaft und grade raus – die Weiten des Atlantiks. Ein Moment, indem ich merke, wie sehr mich diese Radreise jetzt schon berührt. Ab hier kann man sich dann fast rollen lassen, bis wir unser Nachtquartier, das Hotel Cristal Setubal erreichen. Der Schlaf ist uns willkommen, morgen gehts früh weiter.
Die Troia Halbinsel, ein trojanisches Pferd für Strandliebhaber
Am Fährhafen startet auch unsere 2. Etappe – 70km sind es, die uns vom Tagesziel trennen – Sines. Hier steigt bei der Überfahrt die Chance auf Delfine, die sich im Naturschutzgebiet an der Sado-Mündung tümmeln. Wir hatten leider kein Glück, wurden aber durch die Ankunft auf der Troia Halbinsel wieder ganz positiv gestimmt. Eine geradlinige Straße, Pinien wuchern an den Rändern. Ab und zu eine Einfahrt – „Plaia“ steht auf den Holzpfeilern, deren Beschriftung wir folgen und an einem der Sandstrände Mittagspause machen. Eigentlich ist es ein gigantischer Strand von ganzen 13 Kilometern Länge. Wahnsinn! Das erste mal landen die Füße im Ozean…
Die Lufttemperatur kommt zwar dem Sommer schon sehr nah, das Wasser ist leider noch in der Winterpause. Zum Baden kommen wir ein andermal wieder. Es sind Strände an denen man sich auch mit dem Muscheln-Sammeln begnügen kann und vor allem die Zeit vergisst. ( Tipp: Das Comporta Café direkt am Strand). Umso schwerer fällt dann die Weiterfahrt. Durch grüne Weinkulturen und vorbei an vielen Storchennestern kommen wir zur Fonte dos Othos – einer schattigen Quelle, an der Trinkflaschen auffüllen nur zu empfehlen ist.
Kurz vor dem Tagesziel Sines machen wir noch Halt am Praia do Norte. Menschenleer zu dieser Jahreszeit und das typische Portugal-Foto. Hier muss kurz verweilt werden.
Unsere Unterkunft für die Nacht ist das Hotel Veleiro, wo wir den Sonnenuntergang vom Zimmerbalkon genießen, direkt oberhalb des Stadthafens. Bei diesem Anblick bin ich mir sicher – hier fällt mir die morgige Abreise definitiv nicht einfach.



Pause für die Beine und Küsten aus dem Bilderbuch



Heute sinds nur 40km, das klingt nach einer guten Entfernung um den Tag etwas entspannter anzugehen. Nach der Verabschiedung vom wirklich hervorragenden Hotel nutzen wir noch die Zeit für einen Blick in die Burg, die nur wenige Gehmninuten entfernt liegt. Dann heißt es Flaschen auffüllen und dem nächsten Ziel entgegensteuern. Vila Nova de Milfontes liegt in der Region Alentejo. Gleichzeitig erstreckt sich dort ein Naturschutzgebiet, das uns auf dem Weg Richtung Süden weiter begleiten wird. Und auch die berühmte Algarve rückt von Tag zu Tag immer näher. In Milfontes fließt der Rio Mira in den Atlantik und ermöglicht durch seine sanfte Strömung auch das erste Bad der Saison. Ich wage einen Sprung und genieße die Kälte als wohl beste Art der Regeneration. Zum Sonnenuntergang setzen wir uns in die Dünen, lassen die ersten Tage Revue passieren und warten bis die Sonne ganz im Meer verschwunden ist, bevor es für uns in die wohlverdiente Nachtruhe geht
Klippenhopping vom Allerfeinsten
Wärmster Tag der Reise. Heute wollen wir besonders früh starten um der Mittagshitze davon zu fahren. Es geht nach Aljezur, oberhalb entlang eines regelrechten Klippenlabyrinths, das in den Jahrtausenden vom Salzwasser geformt wurde. In den Felswänden brüten Seevögel, deren Gekreische die brechenden Wellen übertönt. Einer der beliebtesten Fernwanderwege Europas schlängelt sich oberhalb der Atlantikküste, dessen Gischt rund 50m unter uns liegt. Der „Fisherman-Trail“ führt meist schwerbepackte Wanderer auf 13 Etappen und etwa 260 Kilometer von Sines nach Lagos. Beim Blick nach unten ergreift uns die Erfurcht und wir setzen mit warmer Brise unsere Reise entlang sandiger Pfade und blühender Wildnis fort. 70km später rollen wir, mit traumhaften Sonnenuntergang und dem letzten Tageslicht in die Tore unserer vorletzten Unterkunft. Dem Vale da Telha.
Atlantik-Luft und Bratwurst-Duft
Die Finale Etappe bringt uns auf ruhigen Küstenstraßen des Atlantiks noch einmal zu einzigartigen Aussichtspunkten und ermöglicht ein letztes Durchatmen vor der Rückkehr nach Deutschland. Der Fahrtwind würde uns am Liebsten zurück nach Lissabon pusten, wir setzen aber die letzte Kraft in die verbleibende Strecke und kämpfen uns bis an die weiten Strände, wie dem Praia do Amado.
Wir erreichen das Kap St. Vicent, den westlichsten Punkt Europas, dessen Leuchtturm auch Radfahrern den Weg weist. Hier schlagen die Wellen mit voller Wucht an die Steilküste und schon von Weitem erleben hier Thüringer einen vermeintlichen Duft der Heimat. Ein Bratwurststand lockt schon seit 1996 Touristen mit der „letzten Bratwurst vor Amerika“. Und wenn da nicht irgendwo auf gleichem Breitengrad ein Kreuzfahrtschiff Bratwurst anbietet, entspricht das wohl auch der Wahrheit. Das obligatorische Selfie mit Leuchtturm-Hintergrund, dann erreichen wir nach den letzten Kilometern Sagres. Hier gehören die Wellen den Surfern. Passt mir gut, ich bleibe am Strand und denke zurück an eine einzigartige Radreise, gemeinsam mit meinem Bruder. Wir kommen wieder!